„Unsere Lehrkräfte sind oft mit schwierigen Verhaltensweisen konfrontiert, nur wissen nicht immer, wie sie professionell darauf reagieren können. Wir brauchen mehr Unterstützung, damit wir als Team gemeinsam wachsen können, ohne immer auf Belohnungssysteme und Bestrafung zurückzugreifen.” Wie können wir die intrinsische Motivation unserer Schüler:innen langfristig fördern und gleichzeitig die Professionalität unserer Lehrpersonen stärken?“
Vor ein paar Wochen sprach ich mit einer Schulleiterin, die sich zunehmend mit der Herausforderung konfrontiert sieht, ihre Lehrpersonen darin zu unterstützen, einen professionellen Umgang mit herausforderndem Verhalten von Schüler:innen zu finden.
Diese Frage, die viele Schulleitungen beschäftigt, ist entscheidend für den langfristigen Erfolg von Bildung: Wie können wir als Schulleitung Lehrpersonen dabei unterstützen, ihre Professionalität zu entwickeln, damit sie im Umgang mit herausforderndem Verhalten und der Förderung von Motivation noch erfolgreicher werden?
Der Zusammenhang zwischen operanter Konditionierung und herausforderndem Verhalten
Ein häufig angewandtes Konzept im Umgang mit herausforderndem Verhalten ist die operante Konditionierung. Ursprünglich von B. F. Skinner und Edward Thorndike entwickelt, basiert dieses Konzept auf der Idee, dass Verhalten durch Verstärkungen und Bestrafungen gesteuert wird. Hierbei gibt es vier zentrale Prinzipien:
- Positive Verstärkung: Verhalten wird häufiger gezeigt, wenn es mit einer angenehmen Konsequenz verbunden wird (z. B. Lob oder Belohnung).
- Negative Verstärkung: Verhalten wird häufiger gezeigt, wenn ein unangenehmer Reiz entfernt wird (z. B. weniger Stress oder Ärger).
- Positive Bestrafung: Ein Verhalten tritt seltener auf, weil es mit einer unangenehmen Konsequenz verbunden ist (z. B. Tadel).
- Negative Bestrafung: Ein Verhalten tritt seltener auf, weil eine angenehme Konsequenz entzogen wird (z. B. Entzug von Privilegien).
Diese Prinzipien werden oft in Schulen angewendet, um das Verhalten von Schüler:innen zu steuern – sei es durch Belohnungssysteme, wie das Verteilen von Punkten, oder durch Strafmassnahmen, wie Verweise oder Tadel. Die zugrunde liegende Annahme ist, dass Schüler:innen durch solche äusseren Anreize ihr Verhalten anpassen. Doch die Forschungslage zeigt, insbesondere im Bereich der Motivationsforschung, dass diese Methoden nicht nur ineffektiv sein können, sondern das Verhalten sogar verschlimmern.
Warum Belohnung und Bestrafung das Verhalten verschärfen können
Die Selbstbestimmungstheorie (SDT) von Deci und Ryan macht deutlich: Es ist entscheidend, warum Schüler:innen handeln. Tun sie etwas aus echtem Interesse (intrinsisch), sind sie neugierig, engagiert und übernehmen Verantwortung. Handeln sie dagegen wegen Belohnungen, Strafen oder Druck (extrinsisch), orientieren sie sich vor allem an den erwarteten Konsequenzen.
Studien zeigen: Wenn Schüler:innen dauerhaft über Belohnungen oder Strafen gesteuert werden, schwächt das ihre innere Motivation. Statt sich zu fragen: „Was und wozu lerne ich?“, überlegen sie: „Was bekomme ich dafür?“ oder „Welche Strafe droht?“ Dadurch geht ein wichtiger Teil ihrer Selbstmotivation und Eigenverantwortung verloren.
Ein Beispiel aus dem Alltag: Wenn eine Lehrkraft regelmässig Belohnungen oder ständiges Lob für erledigte Aufgaben gibt, erledigen Schüler:innen diese bald nur noch, wenn sie etwas dafür erwarten. Fällt die Belohnung weg, kann auch die Motivation kippen.
Doch Belohnung und Bestrafung haben nicht nur diesen demotivierenden Effekt – sie können problematisches Verhalten sogar verschärfen. Wenn Schüler:innen erleben, dass ihr Verhalten ständig von aussen kontrolliert wird, reagieren manche mit Trotz oder Widerstand, um ihre Autonomie zurückzugewinnen. Strafen können diesen Effekt verstärken: Sie erzeugen kurzfristig Gehorsam, fördern aber langfristig Frustration, Ablehnung und eine negative Beziehung zur Lehrkraft.
Auch Belohnungen können ungewollt herausforderndes Verhalten stabilisieren. Manche Schüler:innen lernen, dass sie durch auffälliges Verhalten besondere Aufmerksamkeit oder Vorteile aushandeln können. Das führt dazu, dass sie das Verhalten wiederholen, um erneut eine Reaktion zu provozieren. So entsteht ein Kreislauf, in dem Belohnung und Bestrafung nicht zu einer Beruhigung, sondern zu einer Verstärkung problematischen Verhaltens beitragen.
Deci und Ryan betonen zwar, dass extrinsische Anreize nicht in jedem Fall schädlich sind – sie können in manchen Situationen unterstützen oder sich langfristig sogar in selbstbestimmte Motivation verwandeln. Entscheidend bleibt jedoch: Nachhaltiges Lernen und ein positives Sozialverhalten entstehen vor allem dann, wenn Schüler:innen ihr Handeln als sinnvoll und selbstgewählt erleben – nicht als blosse Reaktion auf äusseren Druck.
Der Einfluss von Carol Dweck und der Bedeutung des richtigen Lobs
Ein zentraler Ansatz, der in der Motivationsforschung immer mehr an Bedeutung gewinnt, ist der von Carol Dweck und ihrer Theorie zur Wachstumsmentalität (Growth Mindset). Dweck argumentiert, dass das Loben von Schüler:innen einen erheblichen Einfluss auf ihre Motivation und Lernbereitschaft hat. Besonders hervorzuheben ist dabei die Art und Weise, wie und wann Lob gegeben wird.
Dweck unterscheidet zwischen Lob für das Ergebnis und Lob für den Prozess. Wenn Lehrpersonen Schüler:innen für das Ergebnis loben, z. B. für eine gute Note oder ein schnelles Erledigen der Aufgabe, fördern sie häufig eine festgefahrene Denkweise („Fixed Mindset“). Schüler:innen glauben dann, dass Erfolg vor allem von angeborenen Fähigkeiten abhängt, und sie vermeiden es, sich Herausforderungen zu stellen, bei denen sie scheitern könnten.
«Indem Lehrpersonen Kinder für Verhalten loben, das sich innerhalb ihrer Komfortzone befindet, erhöhen sie die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder ein fixes Mindset entwickeln. Dadurch sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie motiviert in die Lernzone gehen, Risiken eingehen und bereit sind, ihre Ziele – wie beim Hochsprung – immer weiter nach oben zu setzen.“ Alessandro Lanza
Viel wirksamer ist es, wenn Lehrkräfte den Prozess, die Strategie, die Beharrlichkeit und die Ausdauer loben, die Schüler:innen gezeigt haben. So wird ein Wachstumsdenken („Growth Mindset“) gefördert, bei dem Schüler:innen verstehen, dass Lernen und Fortschritt durch Anstrengung und Kontinuität erreicht werden können. Wenn Lehrpersonen zum Beispiel loben, dass ein Schüler geduldig an einer schwierigen Aufgabe gearbeitet oder eine neue Strategie ausprobiert hat, fördern sie nicht nur das Selbstvertrauen, sondern auch die Bereitschaft, sich weiter in der Lernzone zu bewegen.
Ein weiteres wesentliches Element ist, dass das Lob immer spezifisch und beobachtbar sein sollte. Anstatt pauschal zu sagen: „Gut gemacht!“, sollte die Rückmeldung darauf abzielen, was der Schüler oder die Schülerin konkret richtig gemacht hat, wie etwa: „Ich finde es grossartig, wie du dich auf diese schwierige Aufgabe eingelassen hast und immer wieder nach Lösungen gesucht hast.“
Wie Schulleitungen ihre Lehrkräfte unterstützen können
Angesichts der Problematik von Belohnungen und Bestrafungen sowie der Bedeutung des richtigen Lobs können Schulleitungen ihre Lehrpersonen gezielt darin unterstützen, die intrinsische Motivation der Schüler:innen zu fördern und nachhaltige Verhaltensänderungen zu erzielen.
Hier einige praxisnahe Empfehlungen:
1. Weiterbildung in Motivationstheorien und -methoden
Schulleitungen können ihren Lehrpersonen Fortbildungen anbieten, die sie mit den neuesten Erkenntnissen aus der Motivationsforschung und den Prinzipien der Selbstbestimmungstheorie sowie der Wachstumsmentalität von Dweck vertraut machen.
- Praxishinweis: Organisiere Workshops, die Lehrpersonen unterstützen, intrinsische Motivation in den Unterricht zu integrieren und herausforderndem Verhalten mit positiven Verstärkungen zu begegnen, die auf Anerkennung und sozialer Eingebundenheit basieren.
2. Budget für Coaching und Supervision für Lehrpersonen genug früh beantragen
Ein individuelles Coaching bietet Lehrpersonen die Möglichkeit, spezifische Herausforderungen im Umgang mit herausforderndem Verhalten zu reflektieren und Lösungen zu entwickeln. Schulleitungen können externe Coaches oder Berater:innen einladen, die den Lehrpersonen helfen, ihre pädagogischen Ansätze weiterzuentwickeln und Lösungsstrategien für den Umgang mit schwierigem Verhalten zu finden.
- Praxishinweis: Implementiere regelmässige Coaching-Programme für Lehrpersonen, die es ihnen ermöglichen, sich intensiv mit ihrer pädagogischen Praxis auseinanderzusetzen und neue Verhaltensstrategien zu erlernen.
3. Supervision von schwierigen Fällen
Fallsupervision ist eine besonders wertvolle Methode, um Lehrpersonen bei der Bearbeitung herausfordernder Situationen zu unterstützen. Durch Supervision können sie gemeinsam mit einem externen Experten Fallanalysen durchführen und gezielt an Lösungen arbeiten.
- Praxishinweis: Richte regelmässige Supervisionsgruppen ein, in denen Lehrpersonen schwierige Klassen- oder Einzelfälle besprechen können. So haben sie die Möglichkeit, Unterstützung zu erhalten und voneinander zu lernen.
Zusammengefasst:
- Schulleitungen sind massgeblich dafür verantwortlich, wie ihre Lehrpersonen mit herausforderndem Verhalten umgehen und nachhaltige Motivationsstrategien entwickeln können.
- Anstatt auf Belohnungen und Bestrafungen zurückzugreifen, sollten Lehrpersonen gezielt Weiterbildungs-, Coaching- und Supervisionsangebote erhalten, um eine nachhaltige und positive Veränderung im Verhalten der Schüler:innen zu fördern.
- Nur durch eine kontinuierliche Professionalität der Lehrpersonen und das Verständnis für die Prinzipien der intrinsischen Motivation und der Wachstumsmentalität kann eine Schule zu einem Ort des positiven Lernens und Wachstums werden.
Wie Bildung21 Schulleitungen und Leitungen Bildung unterstützen:
Wir unterstützen Schulleitungen dabei, ihre Lehrkräfte in der Professionalität und im Umgang mit herausforderndem Verhalten nachhaltig zu fördern.
Unsere Leistungen umfassen:
- Coaching für Lehrkräfte und Schulleitungen: Individuelle Coachings, die helfen, Motivation zu fördern und herausforderndem Verhalten zu begegnen.
- Weiterbildung: Fortbildungsangebote, die aktuelle Motivationsmethoden und strategische Ansätze vermitteln, um das Verhalten von Schüler:innen positiv zu beeinflussen.
- Fallsupervision: Unterstützung für Lehrpersonen, um herausfordernde Situationen professionell zu bearbeiten und gemeinsam Lösungsstrategien zu entwickeln.
- Organisationsberatung: Beratung bei der Einführung von Schulentwicklungsprozessen, die auf intrinsischer Motivation und nachhaltigen Lernstrategien basieren.
Möchtest du deine Lehrpersonen professionell unterstützen und eine nachhaltige Veränderung im Umgang mit herausforderndem Verhalten erreichen? Kontaktiere uns für ein unverbindliches Gespräch und erfahre mehr über unsere massgeschneiderten Beratungsangebote für Schulleitungen.
Unter diesem Link findest du ein Dokument für Lehrpersonen zum Thema: «Verhalten von Kindern und Jugendlichen besser verstehen».
Quellenangaben:
- Dweck, Carol S. Mindset: Die Psychologie des Erfolgs. Karl Blessing Verlag, 2007. (Originalausgabe: Mindset: The New Psychology of Success, 2006)
- Ryan, Richard M., und Edward L. Deci. Selbstbestimmungstheorie: Grundlagen der Motivation, Entwicklung und Wohlbefindens. Springer, 2017. (Originalausgabe: Self-Determination Theory: Basic Psychological Needs in Motivation, Development, and Wellness)
- Skinner, B. F. Das Verhalten von Organismen: Eine experimentelle Analyse. Huber, 2011. (Originalausgabe: The Behavior of Organisms: An Experimental Analysis, 1938)
- Thorndike, Edward L. Tierische Intelligenz: Experimentelle Studien. Huber, 2012. (Originalausgabe: Animal Intelligence: Experimental Studies, 1911)
- Hattie, John. Visible Learning: Erfolgsfaktoren des Lernens. Verlag Julius Klinkhardt, 2013. (Originalausgabe: Visible Learning: A Synthesis of Over 800 Meta-Analyses Relating to Achievement, 2009)
- Bergmann, L., und B. Schober. Agiles Arbeiten in der Schule – Konzepte und Praxisbeispiele. Springer, 2019.
- Höhne, A., und A. Braun. Agilität in Bildungseinrichtungen – Grundlagen, Praxisbeispiele und Perspektiven. Beltz, 2018.
- Schuh, K., und T. Löffler. Agiles Arbeiten in der Praxis – Wie Unternehmen und Bildungseinrichtungen agiler werden können. Springer Gabler, 2017.
- Meyer, H., und U. Wölfel, Hrsg. Schulentwicklung und Schulmanagement: Theorie, Praxis und Perspektiven. Waxmann Verlag, 2012.