Ein diffuses Gefühl von Aktivität ohne Richtung
Viele Schulleitungen beschreiben eine Situation, die sich nur schwer greifen lässt: Es gibt Engagement, Einsatz und eine hohe Bereitschaft zur Weiterentwicklung – und dennoch stellt sich das Gefühl ein, dass sich im Kern wenig verändert. Unterschiedliche Vorstellungen davon, was „guter Unterricht“ und was «Lernen» eigentlich bedeuten könnten, stehen nebeneinander. Erwartungen an Beziehungsgestaltung, Feedback oder Leistungsbeurteilung bleiben teilweise unausgesprochen oder uneinheitlich. Gleichzeitig werden Methoden intensiv diskutiert, Projekte initiiert und Konzepte erarbeitet – mit hohem Energie- und Zeiteinsatz, aber ohne dass sich daraus eine wirklich gemeinsame Richtung und Praxis ergibt.
Hohe Komplexität statt fehlender Motivation
Wenn sich dieses Erleben vertraut anfühlt, muss das nicht auf mangelnde Kompetenz oder fehlenden Willen zur Veränderung hindeuten. Vielmehr könnte es ein Hinweis darauf sein, dass sich die Schule in einer Phase hoher Komplexität befindet. In solchen Phasen ist vieles offen, und gerade diese Offenheit kann verunsichern. Nach aussen wirkt die Organisation aktiv, nach innen jedoch entsteht das Gefühl, sich im Kreis zu drehen.
Orientierung als Schlüsselstelle
Ein möglicher Erklärungsansatz liegt weniger im „Nicht-Wollen“ als im Fehlen einer gemeinsamen Orientierung. Solange unklar bleibt, was verbindlich erwartet wird, woran Qualität erkannt werden soll oder wie Verantwortung verteilt ist, entsteht Unsicherheit. Diese zeigt sich in Organisationen selten offen, sondern eher indirekt – etwa durch Rückzug, Widerstand, Reibung auf der Sachebene oder durch den Wunsch nach schnellen, scheinbar einfachen Lösungen.
Psychologische Grundbedürfnisse unter Druck
Aus psychologischer Perspektive lässt sich vermuten, dass in solchen Situationen grundlegende Bedürfnisse unter Druck geraten: das Bedürfnis nach Orientierung und Sicherheit, nach Selbstwirksamkeit (-schutz oder -steigerung) und nach Zugehörigkeit. Werden diese Bedürfnisse nicht ausreichend bedient, schützt sich das System. Veränderung gerät dann ins Stocken, selbst wenn alle Beteiligten eigentlich etwas bewegen möchten.
Wirkung, Sinn und erste Schritte
In der Begleitung von Schulen zeigen sich immer wieder Denkansätze, die helfen können, dieses diffuse Erleben zu sortieren – nicht als Anleitung, sondern als Reflexionsrahmen. So würde John Hattie vermutlich die Frage ins Zentrum stellen, was sich für die Schülerinnen und Schüler verändern soll und woran diese Veränderung gemeinsam erkannt werden kann. Nicht Methoden, sondern Wirkung wären dann der Bezugspunkt. Ein gemeinsames Verständnis davon, was Lernfortschritt bedeutet, wie Feedback verstanden wird oder woran „guter Unterricht“ sowie professionelle Beziehungen erkennbar sind, kann Zusammenarbeit erleichtern. Bleiben diese Fragen ungeklärt, werden Unterrichtsdiskussionen schnell zu Glaubensfragen.
Simon Sinek wiederum würde möglicherweise davor warnen, kulturellen Wandel über flächendeckende Vorgaben erzwingen zu wollen. Veränderung entsteht oft dort, wo Menschen Sinn erkennen und freiwillig erste Schritte gehen. Übertragen auf Schule könnte das bedeuten, nicht sofort die gesamte Organisation bewegen zu wollen, sondern zunächst mit einer kleineren Gruppe zu klären, wohin man unterwegs sein möchte – wozu und woran man die beabsichtigte Wirkung erkennen könnte.
Die Spannung verstehen, bevor gehandelt wird
Vor diesem Hintergrund könnte es hilfreich sein, eine andere Frage zu stellen als die nach dem nächsten konkreten Schritt. Statt zu fragen, was jetzt sofort getan werden muss, könnte der Blick darauf gelenkt werden, wo die Schule gerade Spannung erlebt – und was diese Spannung möglicherweise ausdrückt oder mitteilen möchte. Vielleicht liegt keine Blockade vor, sondern eine Art Rhythmusstörung: Das „Was“ wird intensiv diskutiert, während das „Wozu“ undeutlich bleibt. Oder das „Wie“ wird gesucht, bevor Rollen, Erwartungen und Verantwortlichkeiten geklärt sind.
Entwicklung braucht Passung statt Beschleunigung
Was daraus entstehen kann, ist selten ein schneller Masterplan. Eher entwickelt sich eine gemeinsame Sprache, mehr Orientierung und ein Tempo, das zur aktuellen Situation der Schule passt – vielleicht weniger zum politischen Willen. Schulentwicklung müsste dann nicht beschleunigt, sondern stimmiger werden.
Ein Denkangebot – kein Rezept
Dieser Blogbeitrag versteht sich nicht als Lösungsvorschlag, sondern als Denkangebot. Manche Schulen kommen mit solchen Überlegungen gut alleine weiter, andere schätzen einen Blick von aussen. Wenn Du beim Lesen gedacht hast: „So oder ähnlich fühlt es sich bei uns auch an“, kann ein Gespräch helfen, gemeinsam zu klären, wo eure Schule gerade steht, welche Symptome sichtbar sind und wo realistische Handlungsspielräume liegen könnten. Manchmal entsteht Bewegung nicht durch neue Konzepte, sondern durch ein gemeinsames Verstehen der eigenen Situation